Authentizität im Job - geht das überhaupt?
- laureensuess
- 4. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Aug.
Du willst im Beruf professionell auftreten, ohne dich dabei zu verbiegen?
Gerade im Job kann es herausfordernd sein, authentisch zu bleiben und dennoch den Erwartungen gerecht zu werden. Doch was bedeutet Authentizität im Job eigentlich und ist sie überhaupt möglich? In diesem Beitrag erfährst du, wie unterschiedliche soziale Rollen unsere Identität prägen und warum diese Vielfalt kein Widerspruch, sondern eine Stärke ist. Ein psychologischer Blick auf den Balanceakt zwischen äußerem Auftreten und innerer Stimmigkeit.


Warum bin ich im Job anders als privat?
Der Wechsel zwischen verschiedenen Verhaltensweisen im Alltag ist kein Zeichen von Unauthentizität, sondern Ausdruck unserer sozialen Intelligenz. Viele Frauen berichten dennoch von dem Gefühl, sich im Job verstellen zu müssen, etwa um „professionell“ zu wirken oder Erwartungen zu erfüllen. Die zentrale Frage lautet: Ist Authentizität im Job möglich, ohne anzuecken?
Die Antwort beginnt mit einem Blick auf die Psychologie der Rolle.
Was bedeutet "Rolle" aus psychologischer Sicht?
In der Sozialpsychologie beschreibt eine Rolle das erwartete Verhalten in einem bestimmten sozialen Kontext (Biddle, 1986). Jede Rolle ist mit Normen, Regeln und Erwartungen verknüpft, sowohl von außen (z. B. Arbeitgeber, Kolleginnen) als auch von innen (eigene Werte, Erziehung, Erfahrung).
Typische soziale Rollen sind etwa:
die Führungskraft im Job
die Fürsorgende in der Familie
die Freundin im Privaten
die Lehrende oder Lernende in Weiterbildungen
Diese Rollen wechseln wir täglich: mal bewusst, mal automatisch.
Rollenvielfalt – Ausdruck psychischer Flexibilität
In der psychologischen Forschung gilt Rollenvielfalt (role repertoire) als Zeichen von Anpassungsfähigkeit und Resilienz (Thoits, 1983). Menschen, die flexibel zwischen Rollen wechseln können, passen sich leichter an komplexe Lebensrealitäten an.
Aus systemischer Perspektive gilt:
„Wir sind keine eindimensionalen Wesen“
Wir bewegen uns ständig in unterschiedlichen Rollen und sozialen Kontexten. Unsere Identität ist nicht starr, sondern dynamisch.
Siehe auch: Stress im Job - Tipps zur Stressbewältigung, um mit Belastungen durch widersprüchliche Rollen besser umzugehen.
Kontextuelle Anpassung ist kein Verstellen - sondern gesunde Anpassung
Kontextuelle Anpassung, auch bekannt als role switching, beschreibt, wie wir unser Verhalten je nach Umgebung verändern. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass wir je nach sozialem Kontext unterschiedliche kognitive Schemata aktivieren (Schenk et al., 2017). Diese beeinflussen unter anderem:
unser Auftreten (z. B. Selbstsicherheit, Tonfall)
unsere Entscheidungen
unser Stresslevel
unsere emotionale Ausdrucksfähigkeit
Das bedeutet: Du bist nicht weniger du, wenn du im Beruf anders auftrittst. Du nutzt lediglich eine andere Facette deiner Persönlichkeit, die in diesem Kontext hilfreich ist.
Wer lernen möchte, sich selbst treu zu bleiben und Grenzen zu setzen, findet wertvolle Impuls ein: Nein sagen im Job.
Wenn Rollen stressen: Risiken starrer oder widersprüchlicher Rollenmuster
Problematisch wird es, wenn einzelne Rollen zu dominant werden oder sich gegenseitig widersprechen. Mögliche Folgen:
chronische Erschöpfung (z. B. durch „funktionieren müssen“ in der Arbeitsrolle)
innere Spannungen („Ich erkenne mich selbst nicht wieder“)
Rollenkonflikte (z. B. Mutterrolle vs. berufliche Selbstverwirklichung)
Identitätsdiffusion – das Gefühl, sich selbst aus den Augen zu verlieren
Hier kann psychologische Beratung helfen, Klarheit zu schaffen und den inneren Rollen mehr Balance und Kohärenz zu geben.
Passend dazu: Wiedereinstieg nach der Elternzeit - für Frauen, die neue Rollen nach Auszeiten integrieren möchten.
Die Risiken mangelnder Authentizität
Im Berufsleben treffen persönliche Werte auf äußere Erwartungen, gerade Frauen erleben dabei oft widersprüchliche Anforderungen: kompetent, aber nicht „zu dominant“, verbindlich, aber mit klaren Grenzen. Dieses Spannungsfeld kann zu Selbstentfremdung führen, einem Zustand, in dem wir uns von den eigenen Bedürfnissen entfernen (Deci & Ryan, 2000).
Dauerhafte Unstimmigkeit zwischen innerem Erleben und äußerem Verhalten kann langfristig zu Unzufriedenheit, Erschöpfung und vermindertem Wohlbefinden führen.
So kann Authentizität im Job gelingen:
Eigene Werte kennen – Was ist dir wirklich wichtig?
Berufliche Rolle reflektieren – Was zeigst du, was unterdrückst du?
Grenzen setzen – Sag Nein, wenn etwas nicht zu dir passt.
Weitere Unterstützung: Nein sagen im Job - Strategien für klare Abgrenzung ohne Schuldgefühle.
Authentisch sein heißt nicht, alles von dir zu zeigen, sondern dich nicht gegen dein inneres Gespür zu stellen.
Fazit: Viele Rollen – ein Ich
Es ist vollkommen normal und sogar notwendig, unterschiedliche Rollen im Leben einzunehmen. Authentizität bedeutet nicht, immer gleich zu sein. Sondern: Sich selbst in den Rollen wiederzufinden, sie bewusst zu gestalten und Grenzen zwischen ihnen aktiv zu setzen.
Suchst du Unterstützung?
Wenn du dich gerade in einem Rollen- oder Identitätskonflikt befindest, vielleicht zwischen Job, Muttersein, Beziehung und Selbstverwirklichung, dann kann psychologische Beratung dabei helfen wieder in Kontakt mit der eigenen inneren Stimme zu kommen.
🔎 FAQ - Authentisch im Beruf
Kann man im Job überhaupt authentisch sein?
Ja – aber Authentizität im Berufsleben bedeutet nicht, immer gleich zu agieren. Vielmehr geht es darum, sich in verschiedenen Rollen nicht selbst zu verlieren. Wer seine Werte kennt und bewusst Grenzen setzt, kann auch in professionellen Kontexten stimmig und echt bleiben.
Warum verhalte ich mich im Job anders als privat?
Unser Verhalten ist immer auch vom sozialen Kontext geprägt. Der Wechsel zwischen Rollen – etwa als Führungskraft, Kollegin oder Mutter – ist kein Zeichen von Unauthentizität, sondern Ausdruck psychologischer Flexibilität. Wichtig ist, dass du dich in deinen Rollen wiedererkennst.
Wie erkenne ich, ob ich mich im Job zu sehr verbiege?
Typische Warnzeichen sind innere Unruhe, emotionale Erschöpfung oder das Gefühl, „nicht mehr ich selbst“ zu sein. Wenn äußere Erwartungen dauerhaft im Widerspruch zu deinen inneren Werten stehen, lohnt sich eine bewusste Reflexion über deine berufliche Rolle.
Was hilft, um beruflich authentischer zu sein?
Reflektiere deine beruflichen Werte, achte auf Warnsignale innerer Unstimmigkeit und lerne, gesunde Grenzen zu setzen. Authentisch sein heißt nicht, alles zu zeigen, sondern sich selbst treu zu bleiben.
Ergänzende Impulse findest du hier: Nein sagen im Job.
Quellen:
Biddle, B. J. (1986). Recent developments in role theory. Annual Review of Sociology, 12(1), 67–92.
Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2000). The “what” and “why” of goal pursuits: Human needs and the self-determination of behavior. Psychological Inquiry, 11(4), 227–268.
Schenk, L., et al. (2017). Neural mechanisms of role switching: Context-dependent cognitive control. Journal of Cognitive Neuroscience, 29(8), 1315–1328.
Thoits, P. A. (1983). Multiple identities and psychological well-being: A reformulation and test of the social isolation hypothesis. American Sociological Review, 48(2), 174–187.




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